Wednesday, October 21, 2009

Von der Gesellschaft verstossen

Ich mache mir ja selten Gedanken um das Wohlergehen anderer Menschen, aber ab und zu gibt es auch Ausnahmen.

Es gibt ja nicht mehr allzu viele Penner in NY, mit denen hat Anfang/Mitte der 90er Jahre der damalige Buergermeister nachhaltig aufgeraeumt. Aber ab und zu sieht man sie noch im Strassenbild. Meistens in irgendeinem Hauseingang oder sonst einem geschuetzten Eckchen "gemuetlich" eingenistet, mit Decken, Schlafsaecken, ein paar Habseligkeiten. Viele von ihnen bleiben dann immer an dieser gleichen Stellen, und man weiss, dass das ihr "Zuhause" ist. Man geht an ihnen vorbei ohne sonderlich darueber nachzudenken. Sie gehoeren wie gesagt zur Landschaft. Und - auch wenn es fuer unsereinen schwer nachzuvollziehen ist - viele sind ganz zufrieden mit ihrem Los. Ja wirklich.

Neulich habe ich aber eine andere Art Penner gesehen. Deshalb ist er mir aufgefallen. Er lag mitten auf einer sehr belebten Strasse in einem guten, touristenstarken, hippen Stadtteil. Und zwar mitten auf dem Gehsteig. Keine Decken, keine Habseligkeiten. Er sah so aus, als waere er an genau dieser Stelle umgefallen, oder irgendwo aus dem Fenster gefallen, denn das uebliche "Pennernest" fehlte ganz. Ich bin zuerst richtig erschrocken: Oh Gott, da ist einer verletzt, oder krank oder tot!" Bei genauerem Hinsehen (und wirklich nur dann!) stellte sich heraus, dass es ein Penner war, der aus irgendeinem Grund hier mitten auf dem Gehsteig wohl seinen Rausch ausschlief, waehrend die Passanten Haken um ihn schlugen. Nochmal: Ein Penner in einem Hauseingang mit Decken usw. ist nichts Ungewoehnliches. Aber einer, der wie vom Himmel gefallen mitten auf dem Gehsteig liegt, sehr wohl.

Ich bin wohl mit 13 Jahren noch nicht lange genug in NY, denn auf den ersten Blick rief ich erschrocken auf "Oh, mein Gott!" (Und wurde genauso ignoriert wie der Penner selbst.) Dann blieb ich stehen, naeherte mich vorsichtig etwas, und guckte hin bis ich ihn atmen sah. Er lebte also noch. Gott sei dank. Haette aber genausogut tot sein koennnen, kein Mensch ausser mir hatte Interesse daran, sich zu vergewissern. Die schauten alle ostentativ bis betreten weg und rannten weiter. Da war ausserdem ein Fensterputzer, der an dem Kino, vor dem der Penner lag, mit einem Mop-Dings an einem langen Stiel die Fenster und das Schild ueber dem Eingang putzte. Er tanzte dabei immer um den Penner herum, beachtete ihn mit keinem Blick. Ich hatte schon das Handy in der Hand um die Notfallnummer zu rufen: "Hier liegt ein Mann mitten auf dem Gehsteig, und ich weiss nicht, ob es ihm schlecht geht, schicken Sie mal jemanden." Tat es dann aber doch nicht. Warum? Weil es sehr offenbar eben nicht ein Kranker, Aus-dem-Fenster-Gefallener, oder sonst was war, sondern eben schlicht ein Penner, der hier seinen Rausch ausschlief. Etwas ungewoehnlich mitten auf der 6th Avenue mitten im Fussverkehr anstatt in irgendeiner pennergerechten, "ausgestatteten" Nische. Aber es ist auch bekannt, dass Penner eben NICHT "geholfen" bekommen wollen, weil sie dann eventuell von den Behoerden aufgegriffen werden und ihre "Freiheit" verlieren. Ich hatte nicht das Gefuehl, dass dieser Mann mir dankbar sein wuerde fuer meine Einmischung, im Gegenteil. Also liess ich es gut sein.

Aber... darum geht es nicht. Ich entschloss mich erst, den Mann in Ruhe zu lassen, NACHDEM ICH MICH VERGEWISSERT HATTE, dass es eben wohl doch "nur" ein Penner war, der an einem etwas ungewoehnlichen Ort seinen Rausch ausschlief. Die anderen HABEN GAR NICHT ERST GEGUCKT, sondern sind einfach vorbeigelaufen bzw. ueber ihn gestiegen.

HALLO!!! Hier liegt EIN MENSCH AUF DER STRASSE!!! Der haette genauso gut verletzt oder tot sein koennen. KEIN MENSCH scheinte sich darum einen Scheiss zu kehren. So kaltschnaeuzig ich im Grunde meines Herzens ja bin - BEI DIESER ERKENNTNIS LIEF ES MIR EISKALT DEN RUECKEN HERUNTER.

Lag es daran, dass es sich um einen typischen "Pennertyp" handelte: Mittelalterlicher Mann mit verlebtem Gesicht? Haetten diese ganzen Hypokriten anders reagiert, wenn es eine Mutter mit 2 kleinen Kindern gewesen waere, die da auf der Strasse lagen? Ich wage fast zu sagen: Ja. So ein Mann hat sich schliesslich durch Alkoholismus und/oder Drogensucht selbst in diese Situation gebracht. Die Menschheit denkt selektiv, und masst sich an, zu entscheiden, wer Mitgefuehl "verdient" und wer nicht. Das macht mir Angst, und das macht mich fassungslos. Die Menschheit ist durch und durch schlecht und verlogen. Das sind dann diejenigen, die in der bevorstehenden Holiday-Season wieder ganz gross einen auf "Naechstenliebe" machen. Ich koennte echt kotzen.

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