Tuesday, April 6, 2010

Ich arme, aufopfernde Sau

Edit: Bild entfernt

Aha. Ein Selbstbildnis in dem Starbucks mit dem guten Licht. Manche wissen, was das bedeutet, und der Rest wird es jetzt gleich erfahren.

Heute habe ich mich aufgrund von Zahnschmerzen krankgemeldet, und dann den halben Tag bei meiner alten Freundin, der Zahnaerztin, zugebracht. Das ist immer so ein aufbauendes Erlebnis, und ich meine noch nicht mal die schmerzhafte Behandlung und meinen armen Geldbeutel damit. Das ist ja alles zu erwarten. Gut, was sein muss, muss sein. Dieses Starbucks ist dort nebenan. Sonst komme ich da nicht hin, weil ich sonst selten Grund habe, in diese spezielle Nachbarschaft zu gehen.

Meine Zahnaerztin hat eine ganz besondere Macke. Wenn ich dort weggehe, komme ich mir immer wie ein halber Mensch vor. Und auch heute ging es wieder los. Und zwar ganz gewaltig diesmal. Es faengt immer ganz harmlos an. Sie fragt nach meinem Sohn (der dort auch jahrelang hingegangen ist). Ich sage "danke, alles bestens". Damit habe ich ihr leider Tuer und Tor geoeffnet, denn... DAS VERHOER GING LOS. Was er denn jetzt so mache, fragte sie. Ich sagte es ihr. Kurz zusammenfassend seinen beruflichen Werdegang, bla bla bla. Und sie: "Du hast einen guten Job gemacht. Kannst stolz auf dich sein." Aha. Jetzt geht es los. Wenn es an diesem Punkt aufgehoert haette, waere es ja okay gewesen. Alles ganz harmlos.

Aber die Dame kam gerade erst so richtig in Fahrt: Ich koenne stolz auf mich sein, es habe sich wohl gelohnt, was ich die ganzen Jahre so getan habe (oooooooh. Gott.) All die VERZICHTE, all die OPFER haetten sich wohl gelohnt. Ich: Ich habe keine Opfer gebracht, und auf nichts VERZICHTET. Sie teilte diese Meinung offenbar nicht. Und warum auch. SIE muss es ja wissen. Was weiss ICH schon ueber mein eigenes Leben. Das kann ich doch gar nicht beurteilen. Sie: Aaaaaber... NATUERLICH haette ich Verzichte gebracht, ansonsten koennte ich doch EIN GANZ ANDERES LEBEN HABEN. Etwas anderes haette ich tun koennen die ganzen Jahre, als das, was ich getan habe. Ich (mich zur Hoeflichkeit zwingend, aber innerlich durch die Decke wie das HB Maennchen): WAS denn fuer ein anderes Leben???? Ich habe immer genau das gemacht, was ich machen wollte. Ich bin wirklich ganz egoistisch, ich.... Sie, mir ins Wort fallend: "Aber dann haettest du vielleicht nicht dein ganzes Leben arbeiten muessen, um deinen Sohn grosszuziehen, haettest ganz andere Dinge tun koennen..." Ich: "Aber ich habe mir das doch bewusst und absichtlich so eingerichte, WILL DOCH ARBEITEN *AUS SELBSTVERWIRKLICHUNG*, wollte es IMMER SCHON, und was hat ein Kind damit zu tun, auch ohne Kind muesste man sich doch schliesslich auch selber ernaehren...." (Diesen Spruch, dass man arbeitet, UM SEINE KINDER GROSSZUZIEHEN, habe ich noch nie verstanden, aus genau diesem Grund. Auch ohne Kinder muss man sich doch schliesslich selber ernaehren.)

Die Dame war jetzt in ihrem Element, hat meine dezenten Abschmetterungen von ihren Quatsch dampfwalzenhaft ueberrollt. Ich war diesmal gar nicht darauf vorbereitet gewesen auf die 'arme, tapfere, aufopfernde alleinerziehende Mutter' Nummer. Heute, wo mein Sohn gross ist, hoere ich die naemlich nur noch aeusserst selten bis gar nicht mehr. (In NY, wo man vieles ein bischen lockerer sieht, habe ich sowieso noch kaum gehoert, ausser eben von Madame Zahnaerztin.) Was nicht heisst, dass ich nicht noch genauso allergisch auf die Leier reagiere, wie eh und je, WENN ich sie hoere. Kind inzwischen erwachsen hin oder her. Ungeachtet meiner Diskomforts hat sie unbeirrt weiter gemacht: Es sei doch soooo schwierig und BEWUNDERNSWERT, ein Kind alleine grosszuziehen. Mit zwei Eltern ist immer jemand da, man kann die Belastung durch zwei teilen, und ueberhaupt haette sie wegen meiner Selbstaufgabe den allergroessten Respekt vor mir sowie vor allen alleinerziehenden Mamas, denn das sei doch eine GANZ GROSSE AUFGABE, DAS GANZ ALLEIN.... bla bla bla.

Ich hasse das Chrysler Building. Denn das sehe ich immer direkt an durch das Fenster dort, wenn ich flach auf dem Ruecken liege, und mir diese Seelenpruegel, dieses AUFBAUENDE LOBGESAEUSEL anhoere. Ist naemlich nur ein paar Blocks entfernt. Und nach zehn Jahren habe ich recht unangenehme Assoziationen mit dem, worauf mein Auge starrt, wenn ich mir diese gequirlte Scheisse anhoere. Und meine abweisende Haltung gegen das Gesalbe ist sicher eh nur die falsche Bescheidenheit einer gebeugten, leidgeprueften Mutti. Dafuer allein gebuehrt mir noch mal eine extra Portion Respekt.

Dass mich die Implikation, ich haette mein ganzes Leben fremdbestimmt gelebt und auf das, WAS ICH WIRKLICH HAETTE MACHEN WOLLEN (was das genau haette sein sollen, konnte mir die Dame allerdings nicht beantworten), EDEL VERZICHTET, fuer mich vielleicht beleidigend sein koennten, DAS.... geht der Dame nicht auf. Warum sollte es auch. So ist es doch schliesslich fuer alle Alleinerziehenden. Dass es fuer mich eben NICHT so ist (mein Sohn geht aus genau diesem Grund nicht mehr hin, weil sie ihm naemlich auch immer auf aehnliche Art den Kopf zugesaeuselt hat), DAS will sie nicht kapieren. Das KANN sie nicht kapieren. Ich winde mich vor hilfloser Wut auf dem Behandlungsstuhl. Wo mir gerade die Selbstbestimmtheit abgesprochen wurde. Mal wieder. Sohn weiss, dass ich in Wirklichkeit faul und egoistisch bin, und alles andere als aufopfernd. Er war naemlich DABEI die ganzen Jahre. Aber die Dame weigert sich, mir das zuzugestehen. Es hat nur noch gefehlt, dass sie mir raet, mal nach meinem INNEREN KIND zu suchen, welches bei so einem Scheiss Leben voller Fremdbestimmtheit und Pflichten doch zweifelsohne abhanden gekommen sein muss.

Ich kann's im Moment nicht so richtig herueberbringen (stehe gerade unter einem Schmerzmittel, und die Haende zittern mir, auch wenn das eher an der Wut, als an dem Vicodin liegt). Aber ich verliess die Zahnarztpraxis MAL WIEDER mich ganz klein fuehlend. Wie der letzte Loser: Die arme Frau, die nie an sich selber denkt, und gebueckt und schicksalsgeschlagen (meinen Einwand, dass ich ABSICHTLICH es so eingerichtet habe, und ueberhaupt nicht schicksalsgeschlagen bin und es gar nicht anders wuerde haben wollen ueberrollte sie, wie immer) durch ihr armseliges Leben latscht.

Irgendwie habe ich mein angeschlagenes Ego abgestaubt, und bin dann noch in das Starbucks. Das ist uebrigens eine weite Hippiebluse, ich bin genauso schlank wie immer. Aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich koennte genausogut 200 Kilo wiegen. Das wuerde dann wenigstens zu dem Bild von der armen Sau passen. Der armen Sau, die sich schon jahrzehntelang selber vernachlaessigt und fuer andere aufopfert.

So eine uebergriffige, unverschaemte Salberei war genau das, was ich im Moment brauchte. Wo mein Selbstbewusstsein wegen der ganzen Wohnungsgeschichte und den damit verbundenen Implikationen eh schon im Keller ist. Ja doch. Immer feste drauf.

7 comments:

  1. Wexel die Ärztin! Sie soll sich auf deine Zähne konzentrieren. Alles andere ist für den Seelsorger oder wen auch immer. ...
    big hug

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  2. Das werde ich auch bald machen!

    Ausser der "Seelsorge" versucht sie auch immer, mir Behandlungen anzudrehen, die gar nicht notwendig sind. In dem Bereich habe ich heute schon die Bremse angezogen. (Bisher habe ich ihr immer vertraut, und letztes Jahr Tausende von Dollar hingeblaettert fuer Scheiss, der nicht von der Versicherung bezahlt wird.) Sehr deutlich habe ich heute die Bremse angezogen. Hat wohl gewirkt. Denn auf einmal war eine Wurzelbehandlung heute doch nicht notwendig, sondern eine schlichte Fuellung tat es auch. Siehe da. Ach was.

    Erst als ich mich mit dieser Sache erfolgreich durchgesetzt hatte, begann die unverschaemte Salberei, die heute ueber alles hinausging, was sie bisher gebracht hat. Tja, wenn man die Felle (aeh, DOLLARSCHEINE) davon schwimmen sieht, muss der Frust halt irgendwo raus. Dann hat sie noch gesagt, dass mit der Fuellung allein der Zahn in ein paar Wochen vielleicht wieder anfangen wuerde, weh zu tun (und ganz hoffnungsvoll dabei geguckt). Und dass sie dann vielleicht doch noch die Wurzelbehandlung machen muesse?? Ich sagte ihr, dass ich in dem Fall den Zahn lieber ziehen lasse, weil er sowieso hinten ist, man es nicht sieht, und zum Kauen vermeide ich ihn auch schon wochenlang, weil er schon laenger weh tut. Fazit: Ich kann auch ohne ihn leben, wuerde ihn gar nicht vermissen (und mir vielleicht irgendwann in der Zukunft eine Bruecke machen lassen zum Ersatz (seeeeeeeehr weit in der Zukunft)). Sie hat mir dann erzaehlt, SIE WUERDE SICH WEIGERN, den Zahn zu ziehen. Als Kunde habe ich mir herausgenommen, sie darauf hinzuweisen, dass ich gerne Beratung annehme, aber die Entscheidung letztendlich bei mir liegt. Das ist ihr wohl unangenehm aufgestossen. Kommisch, dass ich, wenn es darum geht, mir teure und unnoetige Behandlungen aufzuschwatzen, ploetzlich kein armes Muttchen mehr bin. Bei ihrer Logik ueber mein angeblich vergeudetes, gramgebeugtes Leben duerfte ich mir teure Behandlungen doch eigentlich gar nicht leisten koennen.

    Schon alleine wegen dieser staendigen Abzocke denke ich daran, demnaechst zu wechseln. Unnoetige Wurzelbehandlungen? DEN Zahn werde ich ihr ziehen, ha-ha^^.

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  3. Den Rat kann ich Dir auch nur geben, mach es wie Dein Sohn. Soll die Ärztin doch umsatteln und Familientherapeutin werden .... ohne Dich.
    LG
    Mel

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  4. Ich fuerchte, die bildet sich allen Ernstes ein, sie wuerde nur "Smalltalk" machen. Hat sie sich wohl antrainiert, um zu "beweisen", dass sie nicht nur kalt-klinisch ist, sondern sich auch "fuer das Leben der Kund... aeh, Patienten interessiert". Und mit solchen Themen liegt man ja auch bei den meisten Leuten nicht falsch. Die moegen das sogar. Ich wette 90% von Personen wuerden dem noch hoeflich zustimmen, oder es zumindest neutral und nicht als Beleidigung sehen. Ich tue das aber. Was weiss die schon von mir??? Ausser wie es in meinem Mund aussieht, doch gar nichts! Meinen Charakter und meine Lebensentscheidungen kennt sie gar nicht. Aber alleinerziehend ist ja IMMER ein "Schicksalsschlag", nicht freiwillig, nein? Und wenn man dann keine besonderen Probleme mit dem AE hat, kriegt man schnell mal den Heiligenschein aufgesetzt. Oh Gott, ich koennte.... mir fehlt gerade das Nudelholzding von der BriCom.

    Wenn deren "Einfuehlsamkeit" echt und nicht angeuebt waere ("wenn notwendig, vor dem Spiegel!"), wuerde sie doch mitbekommen, dass es eben auch Kunden gibt, die nicht hoeren wollen, wie hart und schwer ihr Leben angeblich ist, nur weil es "bei den meisten so ist". Und dann noch anfangen mit mir zu streiten: "Ja, aber..." auf all meine Einwaende. Zuhoeren hat die wohl nicht gelernt. Mensch, ich koennte schon wieder an die Decke gehen.

    Leider muss ich noch mal zu der hin in 3 Wochen. Der kaputte Zahn war naemlich unter einer Krone. Der letzten meiner 70er Jahre Goldkronen aus Deutschland. Bin froh, dass die haesslichen Dinger weg sind, die waren naemlich Augenkrebs pur. Und sie hat natuerlich eine temporaere Krone machen muessen, und die "richtige" kommt noch. Diesen Teil halte ich fuer legitim. Aber ich gucke der in letzter Zeit sehr auf die Finger. Ja, mein Sohn ist schlau. Als sie mir gestern sagte, ich koenne stolz auf ihn sein, dachte ich "wenn die wuesste, auf welchen Teil von ihm ich gerade besonders stolz bin". Ich musste naemlich gerade daran denken, dass er mir vor kurzem gesagt hat, wenn ich mir noch einmal was von der Dame gefallen lasse, wuerde er allen Respekt vor mir verlieren. Der Knabe hat Durchblick. Ja, ich kann stolz sein. :)

    Ehrlich, ich glaube als Familientherapeutin wuerde die auch nicht taugen.^^ Da heisst das Zauberwort naemlich ZUHOEREN, und AUF DIE PATIENTEN EINGEHEN. Und da haperts wie gesagt ganz gewaltig.

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  5. Uebrigens wuerde ich mir solches Nicht-Begreifen meiner Person auch von einem Therapeuten - GERADE VON EINEM THERAPEUTEN - verbitten. Habe ich sogar schon durch vor ein paar Jahren. Been there, done that. Da ging es allerdings um andere Sachen. Nach zweieinhalb Jahren von Versuchen, die Dame umzuerziehen, damit sie mich als Individuum sieht anstatt mich in irgendein vorgegebenes Schema pressen zu wollen, gab ich auf, und ihr den Laufpass.

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  6. Wow! Wie alt bist Du noch gleich?? Du siehst echt jung aus auf dem Foto!!

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  7. Oh, VIELEN DANK, neue Leserin! You made my day. Das tut meiner angeschlagenen 50-jaehrigen Seele voll gut. :)

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