Thursday, February 3, 2011

"Bundle up!"

Diesen Ausdruck kann ich nicht mehr hoeren. Diesen Ratschlag jeden Tag - JEDEN MORGEN - aus dem Radio.

Im letzten November habe ich nicht wie ueblich ueber die kommende monatelange Kaelte und Dunkelheit gejammert. Ich bin einfach in die immer kuerzer werdenden Tage reingeschlittert, und habe mich bewusst auf anderes fokussiert. Wenn man der ueblen Jahreszeit keine besondere Beachtung schenkt, und ganz normal sein Leben lebt, dann wird das schon. Ich hoere immer wieder Leute sagen, es faellt ihnen gar nicht auf, wie kurz die Tage sind, denn sie sind sooo in ihr Leben eingewickelt, soooo vielfaeltig beschaeftigt, dass ihnen gar nicht auffaellt, wie's draussen aussieht. Diese Leute machen das noch nicht mal bewusst, das koennte man ja noch respektieren. Nein, sie machen es aus Dumpfheit, Plumpheit, und Abgestumpftheit. Andererseits sind sie meistens aber auch - ungleich mir - nicht in einem staendigen Zustand der Erregung und Angespanntheit, weil sie eben nicht viel mitbekommen im Leben. Unsensible Leute sind gluecklicher. Das ist mir schon jahrelang bewusst. Aber vielleicht kann man von ihnen lernen. Was waere, wenn ich dieses Jahr einfach mal den Winter ignorieren wuerde, sagte ich mir, mich ohne grosses Trara anpassen, und so weitermachen wie bisher? Vielleicht wird mir die Dunkelheit dann nicht zusetzen? Vielleicht tut sie das nur, weil ich ihr zu viel Beachtung schenke?

Jetzt ist Februar, und ich kann nicht mehr. Nein, nicht so ein 0815 Blabla. Ich weiss, jedes Lieschen Mueller mag die Dunkelheit nicht und die Kaelte. Aber bei mir ist es schlimmer. Ich kann nicht mehr. Ich sage auch gar keinem mehr, wie ich mich fuehle, denn es kapiert ja doch keiner. Jaja, Kaelte und Dunkelheit setzt jedem zu. Keiner wuerde behaupten, er MAG das so. Aber bei mir ist es nicht so eine 0815 Art. Jedes Jahr bin ich bis Januar in tiefer Depression. Hier haelt das winterliche normalerweise bis durch den Maerz an. Bis dahin bin ich vollkommen fertig, reif fuer die Klapsmuehle, und dieses Jahr bin ich sowieso uebler dran als sonst, also weiss ich gar nicht, ob ich es diesmal ueberhaupt durchhalte. Das ist natuerlich Bloedsinn, das ist nur Dahergerrede. Natuerlich werde ich durchhalten. Ich werde mich jeden Morgen aus dem Bett quaelen und hinaus in die Kaelte, hin an den Ort, der jeden Tag ein bisschen mehr meine Seele aus mir herauszerrt. Man hoert immer mal wieder von Leuten, die Depressionen haben. Das gaengige Klischee ist dann immer "ja, die (und es ist IMMER eine "sie", komischerweise) war so deprimiert, dass sie nicht mal mehr aus dem Bett kam". Das habe ich noch nie verstanden. Das ist eine pure Luxus"krankheit". Denn wenn man weiss INNERHALB KUERZESTER ZEIT WIRD DU GAR KEIN BETT MEHR HABEN WENN DU EINFACH DRIN LIEGEN BLEIBST - wenn einem das bewusst ist.... DANN KOMMT MAN AUS DEM BETT. Wundersamerweise. Und aus dem Haus. Egal wie eklig es da draussen ist. Man ist nicht gluecklich dabei, man flucht, hasst die Welt, aber... MAN TUT ES. Man tut es, man schleppt sich irgendwie in den selben Trott, weil keiner da ist, der sich drum schert, ob man jetzt soooo deprimiert ist, dass man "nicht aus dem Bett kann". Wer wirklich zum Ueberleben weitermachen muss... der tut das auch. Egal wie beschissen es draussen ist, egal wie es einen ankotzt. So deprimiert, dass man nicht mal mehr aufstehen kann? Och bitte. Das kann man sich nur erlauben, wenn es dann einen gibt, der das mitbekommt, und neinem die entsprechende Aufmerksamkeit schenkt. Wenn ich ein gebrochenes Bein habe, dann kann ich nicht aufstehen. Gut, das ist ein guter, solider Grund. Den lasse ich gelten. Aber wegen ein bisschen Seelen Aua? WEN wuerde das interessieren, ausser meinem Vermieter, der mich auf die Strasse setzen wuerde, sobald keine Kohle mehr kommt?

Also macht man weiter. Und denkt darueber nach, in was fuer einer Luxuswelt wir doch leben. Denn in Orten auf der Erde, wo's ums nackte Ueberleben geht... da gibt es keine laehmende Depressionen. Nur in unserer uebersaettigten, verwoehnten Kultur. Komisch, ne?

Man macht weiter, man buendelt sich in Schal und Muetze ein, und schleppt sich in voller Misere zur U-Bahn. Erwaegt gelegentlich, auf die Gleise zu springen, aber das ist natuerlich alles theoretischer Quatsch. Das denkt man mal, tut es aber nicht. Man vermeidet es, den Kopf nach rechts und links zu drehen, weil es einem jedes Mal die Ohrstoepsel rauszieht, die IMMER irgendwie am Schal festgeklemmt sind, egal wie gut man aufpasst. Manche Leute in der Nachbarschaft sind dann beleidigt, weil man sie nicht anguckt, gruesst, nehmen alles persoenlich, wuerden aber nie einen Finger fuer einen krumm machen. Ich habe ja alles. Ich soll DENEN was geben! Ich denke darueber nach, waehrend ich durch den Scheematsch schlurfe. Alles erinnert mich daran, wie sehr mich alles ankotzt. Mich kotzt das alles hier so sehr an, so sehr.

Man schnauzt den Zeitungsausteiler in der U-Bahnstation an, der so gar keine Sensibilitaet dafuer hat, dass man eh schon keine Hand frei hat. Man schnauzt den Bettler auf der Treppe an, WAS ihm den wohl die Idee gaebe, dass es mir AUF IRGEND EINE ART besser ging, als ihm, verflucht noch mal. Ich habe vielleicht nicht deine Probleme, aber meine sind genauso quaelend. Warum denkst du, dass es JEDEM auf der Welt besser geht, als dir. (In Wirklichkeit kenne ich den Grund natuerlich: Ich bin weiss, ich sehe einigermassen ordentlich aus, also schulde ich der Welt und solchen Losern was. Dass ich selber nicht mehr kann, nehmen die einem gar nicht ab. Nicht nur die Bettler.) Ich wette, das ist genau die Einstellung, warum solche Leute auf der Strasse landen. Diese Opfereinstellung, dass all die Menschen da draussen, Menschen wie ich, denen es doch sooo gut geht, IHNEN WAS SCHULDEN. Diese Einstellung haben alle irgendwie gemeinsam. Ich sehe die Muster seit Jahren. Und nicht nur bei Obdachlosen. Ganze Bevoelkerungsgruppen sind so eingestellt, und das macht sie anderen gegenueber gnadenlos.

Den meisten Leuten faellt das nicht auf. Die gucken nicht, die bekommen nichts mit. Die machen sich keine Gedanken. Klar, sie wiederholen gehorsam die Sprueche, die die Medien ihnen vorkauen. Ach, wie ist das Wetter schlimm bla bla bla. Bundle up. (Echt jetzt, danke fuer den wertvollen Hinweis, ich wollte gerade in Tanktop und Flipflops rausgehen, ihr habt mich gerettet, puh). Aber bei mir geht es weit darueber hinaus. Ich kann echt nicht mehr. Und die Qual, jeden Tag rauszumuessen, die Qual des Kapitalismus, der Geld ueber alles setzt. Und die dummen, dummen kleinen Leute, die nicht merken, wie sie ausgebeutet werden, sondern sich eher gegenseitig bekaempfen, wenn einer aus der Reihe tanzt, anstatt sich zusammenzutun, und die Grossen da oben bekaempfen. Die Schafe. Ich muss auch ein Schaf sein, weil die Schafe eben eine Riesen soziale Macht und Kontrolle untereinander ausueben. Hier im Big Aeppel. Da hat keiner Gnade. Da kann man heulen am Schreibtisch, in der U-Bahn, und keiner kommt, legt den Arm um einen, und fluestert "was ist denn".. "komm, wir holen jetzt erst mal einen schoenen Tee (oder was weiss ich), dann sieht die Welt schon wieder anders aus". Das gibt es. Nicht hier und heute, aber das gibt es. Das habe ich naemlich selbst erlebt. Ich kannte mal Menschlichkeit. So ein bisschen menschliche Waerme. Kann einen ganz schoenen Unterschied machen. Aber es gibt sie nicht mehr. Und im Bett liegenbleiben kann ich nicht.

PS. Man kann an allem einen Vorteil erkennen, wenn man sich genug Muehe gibt. Mir ist gerade eingefallen, dass es manchmal ein Vorteil ist, dass meine Eintraege oft nur schnell nach "Interessantem" gescannt werden, und dann, wenn man merkt, es geht nicht um irgendwelche Verarschungen oder sonst was Spannendes, weggeklickt werden. Hier ist es von Vorteil im Moment, weil das alles vielleicht die Welt gar nicht so genau zu wissen braucht. Also viel Spass, und bitte nicht die Fingerlein verstauchen beim vielen Scrollen.

1 comment:

  1. Genau die Einstellung, die ich auch seit Jahren habe ... und man kommt nicht raus.
    Entweder man lässt sich unterkriegen und steht im Endeffekt noch schlimmer oder tot da (was auch kein Garant dafür ist, dass es besser wird), oder man macht weiter und hasst es immer mehr.
    Wenn ich die Lösung finde, sag ich dir Bescheid, ich such jedoch auch seit Ewigkeiten vergebens ..

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