Attention Whore

Heute abend, so gegen halb fuenf, hatten wir in einem Konferenzzimmer mal wieder eine kleine Feier fuer eine Kollegin, die 50 geworden ist. Es handelt sich um eine der Netten, Normalen, Menschlichen, Nicht-Tratschenden. Eine, die ich mag. (Leider habe ich wenig Beruehrungspunkte mit ihr, denn sie gehoert nicht zu meinem unmittelbaren Team.) Sie ist ein bischen hoeher gestellt, hat keine von diesen Bravweiber-Allueren. Ist nicht kuenstlich. Wird auch mal boese. Kuenstliche Lache und Smalltalk ist ihr fremd. Sie fuehlte sich mit der Zahl 50 vollkommen out of place, war peinlich beruehrt, so einen ALTEN Fremdkoerper von Zahl anhaengen zu haben. Und sieht zu all dem auch noch gut aus. Will heissen, sie ist sehr duenn. Und im Gesicht jung. Sieht noch weniger wie 50 aus, als ich. Das gebe ich neidlos zu, denn wie gesagt, ich mag die Frau. Meine Mutter wuerde sie wohl "duerr, blass, und verhaermt" nennen. Das ist fuer mich der Massstab. Das heisst, sie ist schoen. Fuenfzig, ja. Schachtel, NEIN. Enges Top. Hose aus der Teenie-Abteilung. Taillenguertel. Habe ich schon nett und menschlich erwaehnt? Ja: A. ist in Ordnung.

Nun war da die ganze Abteilung und eine Nachbarabteilung versammelt, wie immer bei diesen Veranstaltungen. Das Geburtstagskind sass still und peinlich beruehrt da. Die kann sich mit der Zahl 50 nicht identifizieren. Das merkte man ihr an. Womit ICH mich wiederum identifizieren kann.

Ich stand da am Fenster in meinem figurbetonenden Minirock, hohen Stiefeln, und engem Top, zwischen zwei weiteren Kollegen, und dachte mir: 'Wir sind doch ein toller Jahrgang. Hier ist doch mal ein Paradebeispiel, wie 50 heute *wirklich* aussieht. Scheiss auf die ganzen anderen Schachteln, die FUER UNS nichts als eine Blamage sind.' Und fuehlte mich gut. Was nicht nur am Sekt lag, der, wie immer bei solchen Gelegenheiten, reichlich geflossen ist.

Frau Zipperlein stand am anderen Ende des Raumes. So weit entfernt von mir, wie nur moeglich. ^^ Gegen die Wand gedrueckt. Gut. Denn dort gehoert sie auch hin.

Nun gibt es ja eine auf der Abteilung, die immer ganz uebertrieben freundlich zu Frau Zipperlein ist, vor allem in meiner Gegenwart. Weil sie mit Frau Z. Mitleid hat, und mich hasst. (Zwei Fliegen auf einen Streich.) E.: Unterschwellig aggressiver Arschkriecher. Im April 50 geworden. Vor ca. 6 Jahren von sehr schlanker ansehnlicher Person in ein birnenfoermiges, uebergewichtiges ETWAS mutiert. Ich habe E. hier schon einmal erwaehnt, und zwar in dem grottig schlecht geschriebenen Eintrag vom 1. Nov. Dem mit dem Wasserspender. E. weiss ganz genau, dass Frau Zipperlein im Dezember 60 wird, denn sie drueckt immer wieder uebertriebene Ueberraschung darueber aus. Jeder Trottel wuerde diese falsche Komplimentiererei irgendwann durchschauen. Aber Frau Zipperlein durchschaut nichts. Sie ist naemlich zu bloed. Zu bloed, um Mittleidskomplimente zu erkennen.

Irgendwann stellte eine andere Kollegin fest, dass ja ungeheuer viele Leute in diesem Jahr 50 geworden sind (1959-Power, YEAH!) Und dann kam's. E. moved in for the kill. E.: "Und Frau Zipperlein ja auch!!! SIE wird dieses Jahr ja AUCH NOCH 50!"

Wie bitte.

Frau Z. wird im Dezember 60.

Und jeder weiss das.

Aber ploetzlich drehte sich alles um Frau Zipperlein: Die haessliche Alte mit den gespendeten Klamotten. In denen sie immer wie eine Kartoffel aussieht. Unfoermig, flacharschig, dickbaeuchig, und.... ALT. So alt, wie sie ist. 60. Aber E., DIE GENAU WEISS, WIE ALT FRAU ZIPPERLEIN IST, fing gerade erst an, warm zu werden: "Ach, Frau Zipperlein. 60, WIRLICH!?! Verrate uns doch, WAS DEIN GEHEIMNIS IST! WIE bleibst du nur so jugendlich!!!!"

Das Geburtstagskind sass mittlerweile ganz zusammengsunken inmitten der Runde. Und SIE sieht WIRKLICH keinen Tag ueber 40 aus, oder sogar 35, aber um Sie scherte sich inzwischen keiner mehr. Um mich mit meinem Minirock schon gar nicht. Aber das brauche ich wohl nicht extra zu erwaehnen. Frau Z., auf der nun alle Aufmerksamkeit lag, bekam ihre beruehmten roten Baeckchen. Ihr Pfauenschwanz stand in vollem Faecher. Und fuer eine Person mit krummem Ruecken und ohne Schultern stand sie auf einmal erschuetternd aufrecht. Sie gluehte foermlich von innen heraus ob der ploetzlichen Aufmerksamkeit. Dass das nur mal wieder eine Mitleidsaktion von E. war... ja, das ist sie zu bloed, zu durchschauen. Denn... sie stand ja im Mittelpunkt. E. macht das dauernd mit ihr, denn Frau Zipperlein tut ihr leid. Frau Zipperlein hat keine Familie, kein Geld, kein Leben. Dafuer aber hatte sie aber Krebs. Und wurde vor dreieinhalb Jahren im stattlichen Alter von 56 endlich entjungfert. Durch eine Untersuchung des Frauenarztes. Eine jaemmerliche Karikatur von Gestalt, egal wie man es betrachtet. Aber E. baut sie immer wieder auf. Warum, weiss der Geier.

Ich kann es partout nicht ab, wenn Frau Z., die in Wirklichkeit nichts als ein kartoffelfoermiger KLEINER WURM ist, einen temporaeren Auftrieb bekommt. Denn dann ist sie noch unertraeglicher als sonst.

Als wir alle wieder an unseren Schreibtischen waren, und ich meinen wuetenden Kommentar kurz vor 5 hier abliess, zog Frau Z. aufrecht und rotbaeckig ihren billigen, verschmutzten alten hellblauen Mantel an, den sie schon seit Jahren hat. Und wuenschte mir rotbaeckig-arrogant einen guten Abend. Dabei warf sie ganz stolz den Kopf zurueck. (Ups, ist das eine ERBSE, die ich da drin herumrollen hoere??) Ihren Kopf mit dem billigen, selbstgeschnittenen, selbstgefaerbten mahagonifarbenen Haar. Sie fuehlte sich gut. Denn ein wohlmeinender Mensch (E.) hatte ihr ein bischen Auftrieb gegeben. Was kuemmerts da einen, dass die wirklich Schoenen vollkommen untergingen. Bei Gott, so wichtig sind wir doch nicht. Hauptsache, Frau Zipperlein kann mal wieder ein bischen von innen heraus gluehen. Come to think of it, ich sollte eigentlich E. hassen. Die das immer und immer wieder macht.

PS. Dazu kommt noch: Ich wollte mir den Montag nach Thanksgiving freinehmen. Um ein extra-langes WE daraus zu machen. Wie letztes Jahr. Stellt sich heute frueh heraus, dass Frau Z. den Tag schon beschlagnahmt hat. Fuer..... *trommelwirbel* einen Arztbesuch. Ein Arztbesuch war auch der Grund, warum sie heute morgen erst um halb elf eingetrudelt ist. (Der Riegel wird erst vorgeschoben, wenn die Termine, die sie schon hat, gelaufen sind.)

Ich hasse die Person. Tut mir leid, wenn ich hart klinge, aber nach ueber 10 Jahren mit der hat irgendwelches "Verstaendnis" schon lange seinen Lauf genommen.