Es ist bald Maerz. Wenn es kein Schaltjahr waere, waere morgen schon Maerz.
Am 7. Maerz letzten Jahres wurde ich mit MS diagnostiziert, und aus irgendeinem Grund ankert sich das Datum so gar nicht in mir fest. In den letzten Tagen habe ich es mehrmals in verschiedenenen Zusammenhaengen gehoert, und es hat bei mir nicht geschellt. So im Sinne von "ach ja, das war ja der Tag, an dem du mit MS diagnostiziert wurdest! Schon ein Jahr! Wow!"
Bei mir wird immer der 4. Maerz haengenbleiben. Der Freitag, wo ich morgens mein Gleichgewicht nicht halten konnte, aber trotzdem auf die Arbeit gegangen bin. Ich sehe mich immer noch von der U-Bahn zum Buero torkeln. Mich auf eine Bank setzen wollen in dem kleinen Dreiecks Park, ueber den ich da laufen muss. Mir zu denken, es ist aber zu kalt, wer sitzt jetzt schon auf einer Bank, die Leute werden denken, ich bin eine Obdachlose oder so was. Was geschah sonst noch an diesem Freitag, dem 4. Maerz? Ich kam auf dem Buero an, und mir war, als ob ich seekrank bin. Schwindlig, kaum Kraft im linken Bein. Wollte mir im Klo meine Wasserflasche fuellen, und auf einmal begann das ganze Bad sich zu drehen. Nein, nicht drehen. Es schaukelte von einer Seite zur anderen, ich sehe es noch genau vor mir. Ich ging in die Hocke. Es schaukelte von Seite zu Seite. Ganz schnell. Ich schleppte mich irgendwie an meinen Schreibtisch zurueck und sagte, ich glaube, ich muss nach Hause gehen, mir ist nicht gut. Ich hing in meinem Stuhl und konnte nicht den Kopf drehen, ohne dass mir schwindlig wurde. Kollegin G. rief einen Firmenwagen an, der mich ins Krankenhaus bringen sollte. Ich konnte mich aber kaum bewegen. G. das Auto wieder abbestellt, und die Firmen-Krankenschwester aus dem 11. Stock gerufen. Die kam, und hat irgendwas an mir gemacht, mir eine Sauerstoffmaske aufgesetzt und sonst noch was, ich weiss es zum Glueck nicht mehr genau.
Dann kamen Sanitaeter und haben mich in so einem komischen stuhlartigen Ding abgeschleppt. Ich konnte den Kopf nicht nach rechts oder links drehen (vor allem links), ohne schwindlig zu werden. Jessesgott, warum war ich an dem Morgen nicht einfach daheim geblieben? Frau Z. (mit voll roten Baeckchen ob des Dramas), hat sich bereiterklaert, mit mir im Krankenwagen mitzufahren (das war das Schlimmste an der Sache, auch im Nachhinein noch). Ich ihr immer gesagt, sie soll's doch bleiben lassen. Aber sie hat geklebt wie Uhu.
Die Fahrt dauerte gefuehlte Stunden. Dann waren wir im Krankenhaus (oh Gott, was ich fuer diesen Blog nicht tue, das alles noch mal durcherleben). Um es kurz zu machen: Frau Z. liess sich erst um 2 Uhr nachmittags abschuetteln, als ich ihr eindringlich und wiederholt sagte, sie soll doch bitte BITTE gehen. Die liessen mich die ganze Zeit auf so einem Bett-aehnlichen Dings liegen, und haben mal Blutdruck (110 ueber 70) gemessen, und bloede Fragen gestellt. Den Kopf konnte ich den ganzen Tag nicht nach links drehen, ohne schwindlig zu werden. Dann kam mein Sohn. Frau Z. war endlich weg. Gottseidank. Sie wollte nicht gehen, bis sie dem ganzen Buero eine ausfuehrliche Diagnose angeben konnte. Ich habe sie foermlich rausgeschmissen. Mir war so elend. Und die machtte es noch schlimmer.
Die haben mich an dem Tag nicht richtig untersucht. Ein Arzt kam nach vielen, VIELEN, Stunden und hat mir irgendwas vom inneren Ohr erzaehlt. Das wuerde wohl die Ursache von dem Gleichgewichtsproblem sein. Und mir ein Rezept fuer irgendwelche Tabletten fuer sowas gegeben. Auf Wiedersehen. Hoffe, die Tabletten wirken. Das kommt mal vor, ist wohl das innere Ohr.
Am nachsten Tag, Samstag der 5. Maerz wollte ich mich zur Apotheke schleppen, um das Rezept einzuloesen. Ich musste mir ein Taxi nehmen, konnte nicht laufen. Obwohl es nur 4 Blocks war. Und auf dem Rueckweg auch wieder. Der Taxifahrer hat gesagt, ich hoffe, es geht dir bald wieder besser. Ueber diese kleine menschlichkeit bin ich fast in Traenen ausgebrochen. Mir war so schwindlig.
Ich fing an, die Tabletten zu nehmen. Fuers innere Ohr. Es wurde nicht besser. Am naechsten Abend - Sonntag - war es ganz schlimm. Auf einmal sah ich doppelt. Alle geraden Linien haben sich irgendwie ueberkreuzt. Auf einmal an diesem Sonntag Abend hat mir Sohn gesagt, dass eine Pupille groesser waere als die andere. Und mein rechtes Auge stand schief. Der Augapfel war irgenwie nach aussen gedreht.
Ich: Ich muss jetzt sofort wieder zur Notaufnahme. Ich habe Angst. Auge schief? Das kann doch mit dem inneren Ohr nix zu tun haben?
Zum Taxidienst nebenan. Ins selbe Krankenhaus, wo ich schon am Freitag war.
Auf dem Weg dahin in stroemendem Regen wird mir langsam klar, dass das ein neurologisches Problem ist, und dass ich wahrscheinlich sterben werde. Ich finde mich mit dem Gedanken ab: Du wirst sterben. Also, das war's jetzt. Gehirnschlag, oder was weiss ich. Ich sage Sohn zum tausendsten Mal, wo er hin muss, um die Lebensversicherung einzukassieren. Ich hatte mich mit dem Sensenmann abgefunden. Schade, schon so frueh, aber ich werde wohl sterben. Die Resignation war auf eigenartige Weise entspannend.
Dann in der Notaufnahme habe ich der Dame am Empfang gesagt, dass ich am Freitag schon mal hier war wegen Schwindligkeit und Ungleichgewicht und weiss der Teufel. Die haben mich dann in ein Zimmer mit einem Vorhang geschickt. Aerzte nahmen sich meiner an. Als erstes mal ein Cat Scan. Sofort. Aber auf der Stelle. Kein Scheiss mit Terminen usw. Und dann hat mir einer der Aerzte gesagt, einen HIRNTUMOR gaebe es nicht, aber der Teil im Gehirn, der fuer die Augen zustaendig ist, wuerde irgendeine "Vernarbung" oder so was aufzeigen. Sie wuerden mich erst mal einliefern, und am naechsten Morgen gaebe es in MRT. Um genau zu sehen, was da in meinem Gehirn los ist. Dann haben sich noch zwei junge Aerzte ueber mich gebeugt, und meine Zehen abgefuehlt. Und noch einiges andere mehr. "Aber in ihrem Alter?" "Na ja, sie ist ja gut beisammen fuer 51." Die hatten da schon einen Verdacht. Es mir aber nicht gesagt. Sei's drum.
Am Montag Morgen wurde ich zum MRT abgeholt. So was hatt ich noch nie. Angst. Das CAT Scan zeigte keinen Hirntumor auf. Immerhin. Irgendwas muss doch faul sein. Also vertrauen wir erst mal auf das MRT. Es war gar nicht unangenehm. Machte immer so rhytmische laute Geraeusche. Ein paarmal bin ich fast eingeschlafen dabei. Ob man das auch auf meinem Gehirn sehen konnte? Ob man meine Gedanken lesen konnte? Oh, ich war durch den Wind.
Am selben Tag, diesem Montag dem 7. Maerz, erschienen dann mehrere Aerzte in meinem Krankenzimmer: Wir haben das Erbebnis des MRT's. (oh Gottogott).
Ich, in voller Panik: Ich habe doch einen Hirntumor, gell?
Eine junge Aeztin sagte dann zu mir: "NEIN, du hast keinen Hirntumor. Du hast Multiple Sklerose." Einfach so, ohne grosse Darumrederei.
Ich war erleichtert. An MS kann man nicht sterben, oder? Ich liess mich ins Kissen zurueckfallen, und habe erst mal mein Handy gezueckt.
Am naechsten Tag haben sie mir noch Fluessigkeig vom Rueckgrat abgenommen. Um die Diagnose zu verifizieren. Nach irgendwelchen "Antikoerpern" gesucht. Die waeren dann da. Tja. Ich waere ja schoen ein wenig zu alt, um das jetzt zu bekommen, aber eine Erstdiagnose von MS koennte man auch noch viel spaeter bekommen. Gott, war ich froh, wenigstens keinen HIRNTUMOR zu haben! Oder Schlaganfall, oder nach was sonst die da noch gesucht haben. Und mit MS kann man lange leben. Auch wenn man moeglicherweise irgendwann nicht mehr laufen kann.
Dann haben sie mir 5 Tage lang Steroids (Cortison) eingefloesst. Und ich habe das zugelassen, weil es langsam mein Auge und mein Gleichgewicht wieder richtete. Ich weiss, ich haette das mit der Mondin ausmachen sollen, oder dem Akupunkturisten, oder dem Hersteller von Kraeutertee. Aber manchmal bin ich poese, und vertaue einfach der Schulmedizin. Nicht, wenn es darum geht, gesunden Menschen etwas anzudichten (umganssprachlich als "Vorsorgeutersuchung" bekannt), aber wenn es darum geht, etwas zu behandeln, was man schon hat. Ich kann mir naemlich nicht erlauben, dauernd Schuebe zu bekommen. Ich habe da keinen Goenner, der mich unterstuetzt. Ich arme Sau. Im Grunde.
Also, das war am 7. Maerz mit der Diagnose. Gottseidank ging das alles ziemlich schnell von dannen. So eine wochen-oder monatelange "Diagnosestellung" mit Terminen und Ungewissheit haette ich nicht ausgehalten. Meie (undiagnostizierten) MS Schuebe der letzten paar Jahre hatten nun eine Erklaerung. Wenn ich wegen denen schon zum Arzt gegangen waere (ich dachte eine Zeitlang, ich haette einen Gehirnschlag, weil meine Finger der linken Hand nicht so wollten, wie ich, dann war es von einem Tag auf den anderen weg), haette sich die Ungewissheit von wegen Hirntumor eeeeeeewig lange hinausgezogen. Das haette ich nicht geschafft.
Aber die schlimme Attacke fing am 4. Maerz an, und das ist das Datum, das mir in Erinnerung bleibt. Weil es so furchterregend war an dem Tag. Aber die offizielle Diagnose gab es ers am 7. Was ist jetzt also mein Datum?
Was auch immer, es war die erste Maerz-Woche, egal was man als genaues Datum zaehlt. Daran werde ich jetzt immer denken. Wenn andere Leute Gluecksgefuehle von den ersten Osterglocken bekommen, bekomme ich Gluecksgefuehle von der Erinnerung an "es ist kein Hirntumor, es ist nur MS.
Onward and upward!
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