Friday, September 23, 2011

9/12

Da ich jetzt schon seit fast zwei Wochen hier das - im Grund selbstzenzierte - Seelenstirptease mache, kommt es darauf auch nicht mehr an. Ich muss es mir einfach von der Seele schreiben.

Am 9/11 (also dem wirklichen, nicht dem 10. Jahrestag), durfte ich mir mal so richtig reinziehen, was fuer ein Arschloch mein Vater doch ist.

Ich um 11:22 den Fernseher angemacht (damals guckte ich noch Fernsehen), um mir eine Game Show anzugucken (an dem Tag hatte ich mich krankgemenldet und war zufaellig zu Hause deswegen). Da war aber keine Gameshow, sondern so ein Getruemmer und Gequatsche. Ich dachte, was ist denn das jetzt wieder fuer ein Scheiss, wen interessiert, was im Middle East oder irgendwo passiert ist. Dann sagte der Ansager "Der zweite Turm des World Trade Centers ist gerade eingestueruzt." Ich wurde stutzig, und fing an, aufzupassen. Schnell kapierte ich, was Sache war.

Innerhalb weniger Minuten rannte ich durch die Wohnung und schrie "Oh my God! Oh my God! Oh my God!"

Dabei dachte ich hauptsaechlich an Sohn, dessen Schule nur wenige Blocks von dem Ort entfernt war, der noch am selben Tag als "Ground Zero" bekannt wurde.

Ich rief dann dauernd in der Schule an (Handys waren noch nicht so verbreitet, Sohn hatte noch keins), und bekam immer nur ein Bestztzeichen. Zwischen meinen Anrufen klingelte das Telefon. Vattern. "Ach, wir haben gerade gehoert, was in New York passiert ist." Voll dramatisch bei "was" in Schluchzen ausbrechend.

Ich dachte nur - wenn ich das jetzt nicht gerade ein paar Minuten vorher im TV mitbekommen haette, haette ich gar nicht gewusst, wovon er so dramatisch daherlabert. Das war ganz knapp. Ob der sich wohl in seinem Dramaqueen Akt mal darum Gedanken gemacht hat? Wie es bei mir angekommen waere, so einen Anruf zu bekommen, und ich weiss gar nicht, wovon er redet? Nein. Vattern liebt Drama. Drama definiert sein ganzes Leben. Aus dem Bunker zurueckkommen, und das Haus ist flach, waehrend die Nachbarhaeuser auf beiden Seiten noch stehen? Nein, das soll ihm erst mal einer nachmachen. Andere Leute kennen ja keine Traumen. Und wenn, dann sind sie sowieso viel besser in einer Position, damit umzugehen, als er, der arme kleine Junge im Rentneralter inzwischen.

Als ich dann Sohn von der Schule abgeholt hatte im Taxi - gegen den Strom fahrend, und mit weisser Staubwolke auf dem Rueckweg im Hintergrund - hatte ich mir daheim ein paar Bierchen gegoennt. Unter den Umstaenden legitim, finde ich. Auch heute noch. Wuerde es wieder genauso machen.

Wir hatten den ganzen Scheiss den Tag und die Nacht ueber angesehen im TV, waehrend wir im RL den Geruch gerochen haben. Der sogar bis zum Norden Manhattan's vordrang, und noch weiter bis in die Bronx und darueber hinaus (laut spaeteren Aussagen von Leuten, die dort wohnen). Wie verbranntes, ranziges Plastik. Ich kann keine NY Bloggerin mehr ernst nehmen, solange sie sowas nicht aus erster Hand berichten kann. Tut mir leid. Um 5 Uhr morgens ging ich endlich ins Bett, total erledigt.

Ich war gerade am Einschlafen, da klingelte das Telefon. Sohn war noch auf und ging dran. Whatever, egal. Gute Nacht.

Bevor ich wusste, wie mir geschah, stand Sohn verzweifelt an meiner Schlafzimmertuer: Opa aus Deutschland ist am Telefon. Ich hab ihm gesagt, dass du im Bett bist. Er sagt immer, ich soll dich holen. Er sagt immer "It isss impooooohrtant, it isss impooooooohrtant!" "Sag ihm, dass ich schlafe, ich rufe ihn spaeter zurueck." Sohn kommt nach kurzem Gang ans Telefon zurueck: " Nein, er sagt immer "Get your mother out of bed. It eeeeeees impoooooooohrtant!" Aber ich will schlafen. Macht nix. Es ist 5 Unr morgens und ich bin gerade ins Bett nach einem langen traumatischen Tag. Aber Opa will, dass ich aufstehe. Opa sagt dauernd "it eeeeeeees impoooooohrtant!"

Also erloese ich Sohn und schleppe mich ans Telefon. Was kann denn Vattern, der mich sonst nicht mit dem Arsch anguckt, da auf einmal so "wichtig" sein, dass er sogar auf einmal gut genug (d)englisch kann, um seinen Enkel zu belaestigen? Mit dem er sonst noch nie ein Wort gewechselt hat. Jessesgott.

Vattern erzaehlt mir ganz aufgeregt, dass ich bis zwoelf Uhr an den Terroristenort gehen soll, und dann rechtzeitig wieder daheim sein soll, um einen Bericht abzugeben fuer eine Reporterin seiner Scheiss-Zeitung. Wie nahe man da wohl drankaeme, fragte er ganz aufgeregt. Ich: ??? "Da kommt man ueberhaupt nicht dran, da ist alles schon ab der 14 Strasse abgesperrt, und selbst wenn man es koennte, ich bin gerade eben erst ins Bett, bei uns ist es 5 Uhr morgens, und ich werde bestimmt nicht bis zwoelf da hin kommen und wieder zurueck, selbst wenn es nicht abgesperrt waere und die U-Bahnen fahren wuerd..."

Vattern: Also das sei jetzt meine einmalige Chance! Ich wollte doch immer Reporterin werden! (Ach was.) Ich koenne jetzt ersterhand aus dem Krisengebiet berichten bla bla bla. Ob ich da nicht doch irgendwie durch koennte? Direkt an die Stelle?

:/ :/ :/

Ich: " Da kann man aber nicht hin, ausserdem will ich schlafen, ich war die ganze Nacht auf. War ein bisschen aufregend, der Tag, ein bisschen anders als andere Tage."

Vattern: Das macht doch nichts. Reporter muessen immer und ueberall kurzfristig zur Stelle sein. (Hallo! Ich bin kein Reporter.) Dann - wenn ich nicht hin kann, wuerde mich seine Zeitungstrulla trotzdem anrufen so gegen zwoelf. Ich soll dann erster Hand berichten aus dem Big Aeppel, der grossen Tragoedie, bla bla bla. Vielleicht koennte dabei sogar Geld fuer mich herausspringen, die Zeitung wuerde mich bezahlen. Dass mir das egal ist, und ich nur schlafen will, blockt er ab.

Ich, in schwachem Zustand, vollkommen erledigt: "Wenn die mich anruft, kann die mich dann wenigstens auf englisch interviewen. Ich kann das alles nicht auf deutsch erklaeren, ich bin da nicht mehr so fluessig...." Vattern: Ja, ja, das wird die schon auf englisch machen.

Also schaele ich mich um 12 aus dem Bett. Puenktlich klingelt das Telefon. So eine deutsche Tulla ist dran, sie stellt sich vor, sie waere von der XY-Zeitung, ich haette mich bereiterklaert... bla bla bla. Ich soll doch mal berichten.

Ich, voellig uebernaechtigt und verkatert: "Ja, das war soundso, weisse Wolken bla bla bla. Ob sie mich bitte auf englisch verhoer.... aeh interviewen koennte, da mein deutsch inzwischen ein bisschen... na ja... (das war noch vor meier BriCom Zeit).

Sie, froehlich: "Oder vielleicht koennen wir's auch einfach auf deutsch machen!" (Danke, Vattern, fuer die Luege, dass ich das nicht auf deutsch machen muesse.)

Also... long story short ... ich habe auf holprigem deutsch ein total beknacktes Interview abgegeben. Aber die Zeitungsdame war sehr hilfreich: "WEISSE Wolken?! Sie meinen wohl GRAUE Wolken! Weiss koennen die ja nicht gewesen sein!! Wenn's brennt, macht's ja graue Wolken!" Na schoen. Ich habe nur noch zu allem "ja" gepiepst. Und an meinem eigenen Verstand gezweifelt. Wenn die sagt, die Wolken waren grau, wird's schon stimmen. Auch wenn ich weiss, dass sie weiss waren. (Weisser Staub von dem Kalk usw.) Aber was weiss ich schon. Ich war ja nicht dabei. :/

Fast forward: Ein paar Tage danach ruft mich Vattern wieder an. Er ist ganz aufgeregt: Der Artikel ist in der Zeitung! Mit meinen (???) Zitaten! (Oh Gottogott.) Er hat die Zeitung auf der entsprechenden Seite WIE ZUFAELLIG (Mensch, ist der gewitzt) auf dem Tisch liegen lassen, als mein Onkel vorbeikam. Und mein Onkel haette gesagt: "HUCH, weisst du eigentlich, dass DEINE TOCHTER da in der Zeitung steht!" Und Vattern haette ganz stolz und beilaeufig gesagt: "Ja, was denkst du denn, wer das VERANLASST hat?!" (Du SPITZBUBE, du.) Tja. Das war sein grosser Auftritt. Es geht immer nur um ihn.

Kurz danach hat er mir den Artikel geschickt. Ich habe ihn gelesen, und mich in dem Moment in den Tod gewuenscht: "Die 42-Jaehrige, immer noch aufgeregt..."

Ich war nicht "immer noch aufgeregt" gewesen. Ich war vollkommen uebernaechtigt und genervt, und gezwungen gewesen, mich auf einer Sprache zu artikulieren, die mir zu dem Zeitpunkt nicht mehr gelaeufig war. Und darueber angelogen worden von Vattern, dass ich das Interview auf englisch machen koennte. Alle meine Zitate hoerten sich total beknackt an. Ich hasste diesen Artikel und hatte ihn umgehend in den Muell entsorgt. Ich haette Vattern ermorden koennen, mir das anzutun, nur damit er sich vor seinem Bruder und weiss der Teufel wem, wichtig machen konnte.

Zu allem Ueberfluss war im selben Artikel auch noch ein anderer "Deutscher' in NY interviewed worden: Ein 27-jaehriger Mann (Marke Langzeiturlauber), der sich vollkommen gut auf deutsch artikuliert hatte. Neben dem kam ich wie eine Beknackte herueber.

Ich habe Vattern nie verziehen, dass er mir das angetan hat. 10 Jahre? Mein Sohn hat auf dem Weg zur Schule das erste Flugzeug gesehen, als es bedrohlich tief flug. Direkt ueber seinen Kopf.

9/11

Die wahre Terroristen Attacke kam fuer mich erst am naechsten Tag. Kein mitteloestlicher Terrorist kann so terrorisieren, wie Vattern. Der seine uebernaechtigte Tochter an einen ganz gefaehrlichen Ort schicken wuerde, bloss um sein Ego zu streicheln. Das werde ich nie vergessen und nie verzeiehen. Sorry.

PS. Sohn hat damals auch erkannt, wie sein Grossvater wirklich drauf ist. Jedesmal, wenn ich sage, dass irgendetwas wichtig ist, aefft er meinen Vater von dem Anruf damals nach: "It eeeeeees impoooooooooohrtant!" Und wir lachen uns zusammen schlapp. Galgenhumor halt.

Nachtrag: Ich trete mir schon seit 10 Jahren in den Arsch, dass ich mich dermassen habe ueberrumpeln lassen und das Affentheater ueberhaupt mitgemacht habe. Heute wuerde ich Vattern was husten.

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