...ist sie mir begegnet.
Ich gucke und gucke. Schon jahrelang. Und gestern ist sie mir begegnet. Endlich! Die tolle Frau ueber 50, an die sich so Zeitschriften wie More und ihr fleissiger Nachahmer Brigitte Woman richten.
Endlich war ich Auge in Auge mit ihr! Der perfekten Frau ueber 50.
War auch langsam mal Zeit.
Sie ist total schlank, und nach der heutigen Mode angezogen. Natuerlich in Junior Groessen, phhhhh, was denn sonst? Und von H & M waren die auch nicht, sondern von einem sauteuren Laden. Das sah man ihnen an.
Hippiestyle gone class, ha-ha.
Sie hat gestern ENDLICH ihr Rad aus dem Keller geholt, es in Ordnung gebracht (was auch immer das bedeuted), und ist damit von ihrem Haeuschen im Gruenen in Westchester County 17 Meilen (ueber 20 Kilometer) (!!!) in die City geradelt. Zu ihrem EIGENEN KLEINEN BUSINESS, fuer welches sie jetzt ENDLICH Zeit hat. Es hat ja auch mit dem Umgang mit MENSCHEN zu tun, und diese NEUGIER AUF MENSCHEN haelt das Hirn wahrlich jung. Auch kann sie selbst ueber ihre Stunden dort bestimmen, da sein oder nicht da sein, WEIL SIE JA IHR EIGENER CHEF IST.
Sie koenne NICHT von morgens bis abends in einem Buero sitzen auf dem Zeitplan eines anderen.
No,,das ginge UE-BER-HAUPT nicht!
Jetzt, wo die Kinder auf EIGENEN FUESSEN STEHEN, da kann sie ENDLICH mal so leben, wie sie will. Selbstaendig ist die Fau. Ha-ha! :)
Und uebrigens hatte sie an dem Morgen ihr RAD aus dem Keller geholt und flott gemacht. 17 Meilen aus der Stadt - DAS soll ihr mal einer nachmachen. Und am Abend wieder zurueck. Mensch, war die stolz.
Aber die konnte auch stolz sein. So schlank und durchtrainiert wie die ist.
Ich sitze da, waehrend diese Besitzerein meines Krankengymnastikdingsbumses mein rechtes Handgelenk in alle Himmelsrichtungen biegt, und mich politisch korrekt lobt, wie toll ich das doch mache. Ihre Mitarbeiterin, die mich sonst immer behandelt ist naemlich diese Woche im Urlaub. Schon wieder. War sie doch erst im April. Was soll's. Und deshalb war die Besitzerin selbst dran. Stressiger Tag fuer die arme Frau. Aber sie LIEBT ja ihre Arbeit. Wenn man selbstaendig ist, dann ist das halt so.
Und dann kommt der Hammer. Ihre Tochter (ich kann aus den Erzaehlungen ableiten, dass die Tochter angehende AERZTIN ist) hat sich vor einem Jahr eine Wohnung in STUYVESANT TOWN gemietet. Da hat sie auch nur einen kurzen Weg zu dem Krankenhaus, wo sie arbeitet. Tja.
Good for her.
Bei Stuyvesant Town handelt es sich um einen Wohnungskomplex im suedoestlichen Teil Manhattans. Dort hat mal ein Freund meines Sohnes mit seiner Mutter gewohnt. Die Wohnungen waren jahrzehntelang mietgeschuetzt. Dannnnnnn .... vor 5 oder 6 Jahren wurde der Mietschutz dort aufgehoben, und die Wohnungen werden jetzt zu MARKTPREISEN an Hippster und Langzeiturlauber vermietet. Ich also zu der tollen Frau in meinem Alter: Stuyvesant Town?! Dort haben sie doch den Mietschutz irgendwann nicht erneuert. Ein Freund meines Sohnes wohnte da..... Sie, leicht panisch: Ja, ja, die JUNGEN LEUTE ziehen da gerne hin! Ich, unberirrt: ... und der Freund und seine Familie mussten NACH NEW JERSEY ZIEHEN! Die Wohnungen, die jahrzehntelang ZU HAUSE fuer Menschen waren, gibt es doch jetzt nur noch zu MARKTPREISEN! Sie, unbequem beruehrt: Ja, sie sind jetzt Marktpreis. Und sich dann ganz schnell von mir abgewendet, mir Revoluzzer, mir Smalltalkverweigerer, mir pleiten Sau. Mir ... NEIDHAMMEL. Bevor ich in Gesang ausbrechen kann ueber eines meiner Lieblingsthemen, und die NETTE PLAUDERRUNDE stoeren kann! Da sind ja schliesslich noch andere Patienten, und die interessieren sich nicht unbedingt fuer meine politische Meinung. Lieber vom Urlaub erzaehlen. Niveau ist alles.
MEIN KIND ist kein Arzt. MEIN EBENFALLS ERWACHSENES KIND ist noch z. g. T. noch finanziell abhaengig von mir. Und wohnt mit mir in der mietgeschuetzten MIETWOHNUNG in Harlem seit ueber 11 Jahren. Und kann sich kaum noch mit dem entsprechenden Freund treffen seit der in Jersey lebt. Weil es so umstaendlich ist, zusammen zu kommen. Als er noch in Stuyvesant Town lebte, der Freund, hatten sie dieses Problem nicht. Tja.
That's life. One adapts.
Und dann kam noch: Ach, heute Abend, wenn der letzte Patient durch ist, dann mache ich noch ein bisschen Papierkram. Bin ja nicht in Eile, ich fahre ja mit dem RAD. Und, btw., habe ich erwaehnt, dass das 17 MEILEN aus Manhattan raus ist!?
Wider Erwarten bin ich ploetzlich bei guter Laune. Ich bin echt. Ich fahre nicht mit dem Rad nach Hause, sondern mit der U-Bahn. Auch wenn man die Distanz im Grunde gut LAUFEN koennte. ICH schaffe es gerade mal so an die obere Grenze von Manhattan mit dem Rad, geschweige denn 17 Meilen darueber hinaus. Und sogar DAS habe ich seit der MS Diagnose nicht mehr zustande gebracht, hoechstens mal eine Runde im Central Park. ICH habe vorne ein bisschen Grau in meiner neuen Loewenmaehne, ansonsten meine Naturfarbe, und stehe dazu! ICH freue mich nicht auf 17 Meilen, sondern auf eine Zigarette im heimischen mietgeschuetzten Palast. ICH bin nicht schlank und durchtrainiert, sondern zaehle die Rollen um meine Taille. ICH erhalte finanziell ein im Grunde erwachsenes "Kind" am Leben, weil er - wie Mama - ein lovable Loser ist, der sich erst noch finden muss und kein Arzt ist (dafuer hat er auch noch nie jemandem die Wohnung geklaut). Auf einmal wird mir klar, dass ich von uns beiden DIE WEITAUS SYMPATHISCHERE bin. Die fehlerhafte Heldin von Kommoedien und Chick Lit. Diejenige, mit der sich die Leute identifizieren. Diejenige, die den ganzen Tag einen ungeliebten Job macht, und mit ueber 50 nichts - aber auch gar nichts - auf die Reihe gebracht hat.
Und das ist in Ordnung so. Nicht Jede muss perfekt sein. Manche von uns duerfen wuetend und neidisch sein. Und grau und fett und faul. Und unperfekte Kinder haben.
Gottseidank.