Es ist ja nicht zu fassen. Normalerweise bin ich kein Verfechter der "es kann jeden treffen" Lebenseinstellung, aber nach diesem Knueller koennte ich fast dazu uebergehen. Auch wenn ich im tiefsten Inneren glaube - ueberzeugt bin - dass jede - jede - Krankheit irgendwie im Koerper vorprogrammiert ist, dann entweder getriggert, oder nicht getriggert wird, und wir die URsachen halt nicht kennen, und darum behaupten, "jeder" waere gleich gefaehrdet, "getroffen" zu werden.
Ich habe monatelang Anrufe und E-Mails von meiner Gesippschaft in D. ignoriert. Weil ich denen nicht sagen kann, dass ich MS habe. Ich wusste ja, was dann kommen wuerde. Aber die eindringlichen Kontaktversuche konnte ich irgendwann nicht mehr ignorieren. Ich kann aber auch nicht einfach irgendsowas daherquatschen: "Ja, der August war ziemlich verregnet, alles beim alten, bla bla bla". Das kann ich nicht. Tut mir leid. Und weiter ignorieren und nicht antworten kann ich auch nicht. Also blieb mir keine Wahl. Ich muss echt sein. Ich bin echt. Schrieb ich auf Vatterns Gemecker ("eine Mail zu schreiben, soviel Zeit muss doch da sein bla bla bla") eine Antwort, in der ich ihm von der MS erzaehlte. Kurz, buendig, sachlich, ehrlich. Quadratisch, praktisch, gut:
"Ach ja. Im vergangenen Maerz wurde ich mit Multpler Sklerose diagnostiziert. Es geht mir aber im Grossen und Ganzen gut. Ich arbeite normal weiter und mache jeden Monat eine Behandlung. Die Behandlung schlaegt gut an und die Symptome (Kribblen, Taubheit, Gleichgewichtsstoerungen) sind so ziemlich unter Kontrolle. Man kann damit viele Jahre ganz normal leben, nicht jeder endet mit Kruecken oder im Rollstuhl. Zum Glueck habe ich eine gute Krankenversicherung, und auf der Arbeit haben sie auch Verstaendnis und haben meine Stunden angepasst. Das mit der MS koennt ihr auch X (meinem Onkel, der mit Vattern staendig auf Kriegsfuss steht, und seit Jahren ueber alles, was mich betrifft, angelogen wird - ich bin Vattern zu peinlich) erzaehlen. Das moechte ich sogar. Ich will nicht mehr, dass Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Das halte ich fuer ziemlich ungesund, ehrlich. "
Ich bin stolz auf mich. Die verlogene Wirtschaft meiner Familie mache ich nicht mehr mit. Du willst wissen, wie es mir geht? Gut. Ich SAGE dir, wie es mir geht. Ich plaenkere nix ueber das Wetter, das Erdbeben, den Hurrikan, den 9/11 10. Jahrestag daher. Oder ueber deine bloeden Buecher und deinen bloeden Garten. Ich mache keinen Smalltalk mehr. Entweder du nimmst mich so, wie ich bin, oder wir koennen es ganz bleiben lassen. So. Nachdem ich die Mail abgeschickt hatte, ging ich ein bisschen aufrechter, trotz Gleichgewichtsstoerungen auf der linken Seite wieder, seit gestern.
Ich wollte es denen eigentlich nicht sagen. Denn ich weiss ja, was kommt: "Also von MIR hast du das nicht bla bla bla bis" hin zu "Schicksalsschlag bla bla bla". Unterstuetzung? Null. Interesse? Null.
Zwei Stunden spaeter kommt eine Antwort. Schlimmer als erwartet war die Reaktion. Ein Schluessel-Auszug:
"Ich kann es nicht glauben. Normalerweise ist MS auch erblich bedingt. Niemand in unserer Familie und auch nicht bei X (meine Mutter) hatte jemals MS. Hat Dir Dein Arzt gesagt, wie das kommen kann? Ich...." "Ich habe mit X (Mutter) telefoniert. Die hat gesagt, dass Du sie noch nicht informiert hast. Warum? Sie will Dich in den nächsten Tagen anrufen."
Das deckt unsere "von mir hat sie das nicht" Portion des Programms ab. Die "selber schuld" Einlage war ein unerwarteter Bonus. NEIN, mein Arzt hat mir nicht gesagt, "wie das kommen kann". Es gibt noch keine erforschte Ursache von MS. Und erblich KANN, MUSS sie aber nicht bedingt sein. Manchmal trifft sie einen auch einfach so. Ohne Grund. DU hast nicht immer die Kontrolle, VATTERN. Man kann nicht alles kontrollieren im Leben, so gerne du dir das auch einreden wuerdest.
Und weil's so schoen war, geht's gleich weiter. Hier ist die "was nicht sein darf, kann nicht sein" Portion unserer Morgen-Unterhaltung:
"Wenn ich etwa habe, besuche ich immer einen zweiten Arzt, der dann oft eine ganz andere Diagnose stellt. Besuch einen zweiten Arzt, um sicherzugehen. "
Keine Nachfrage, wie es denn zur Diagnose gekommen ist. Was da genau passiert war. Dass ich 5 Tage im Krankenhaus war durch die Notaufnahme. Dass ich inzwischen schon 3 MRI's machen musste, von mind. 4 verschiedenen Aerzten angesehen, die alle zu dem gleichen Ergebnis kamen. Dass ich selber die Hirnwolken gesehen habe. Dass die mir am Rueckgrat Fluessigkeit abgenommen haben mit einer grossen Nadel um anderes auszuschliessen. Dass man an dem Abend in der Notaufnahme zuerst einen Schlaganfall und einen Hirntumor duch ein CT Scan ausschliessen musste. Dass mein Auge schief stand. Dass ich nicht gerade laufen konnte, und mir ganz uebel war. Dass ich seit Monaten nicht mehr joggen konnte, weil mein linkes Bein immer taub wurde und geschleppt hat. Nein. Danach fragt er nicht. Dass ich 5 Tage am Tropf hing mit Steroids (Kortison???) um mein Auge und mein Gleichgewicht zu richten. All das interessiert ihn nicht. Nur wie frueher: "Du niest? Warum bist du gestern ohne Jacke rausgegangen? ACH, hast du dich verdorben!" Man ist selber schuld. Man hat alles unter Kontrolle. So war's immer schon in dieser kranken Familie. Danke fuer die warmen Erinnerungen. Jetzt bin ich wenigstens erleichtert. Vatter meint, vlt. habe ich gar keine MS. Ohne Fragen zu stellen. Das kann ja nicht sein, die reden alle Quatsch. Er war schon immer der Einzige, der die Antworten hat.
Aber halt! Wir sind noch nicht am Schluss! Bevor er mich unterschwellig einen Narren genannt hat, der einfach zu allem "Ja" sagt (hat er schon als ich Kind war gemacht, komplett mit kuenstlicher Piepsstimme, mich nachaeffend), wollte er doch noch was Freundliches abgeben (da steckte sicher seine Frau dahinter):
"Ich bewundere Deinen Mut und die tapfere Art, wie Du das hinnimmst."
Ja, ich nehme das hin. Auch wenn ich keinen Mut und keine "tapfere Art" habe, aber es bleibt einem ja nix anderes uebrig ne? Soll ich ihm jetzt sagen, ich war eigentlich erleichtert, als ich MS hoerte, weil ich Angst vor einem HIRNTUMOR hatte? Nee. So nah sind wir uns nicht, dass ich solche Sachen erzaehle. Dann lieber Fremden hier im Blog. Wenigstens hat er sich den Ausdruck "Schicksalsschlag" gespart, gegen den ich so allergisch bin. War sicher Zufall und nicht Ruecksicht. Auf dieser Welt gibt es nur Vattern. Andere Menschen haben keine Probleme und keine Gefuehle. Ihm ist mit 10 Jahren eine Bombe aufs Haus gefallen (im OKTOBER, und im JANUAR war der Krieg herum - SOOO KNAPP!!" *schluchtz*), und dafuer bestraft der arme kleine Junge die Menschheit seit fast 7 Jahrzehnten. Tyrannisiert diejenigen, die es zulassen, und ignoriert diejenigen, die sich abgrenzen, weil er bei denen (ich gehoere auch dazu) nicht mehr die Kontrolle hat.
Damit war das Thema MS - und "Tochter" ueberhaupt - abgeschlossen von seiner Seite. Nun mal zum wirklich Wichtigen:
"Du schreibst, dass das Buch noch nicht angekommen ist. Das verstehe ich nicht. Wir haben es per Luftpost geschickt. Vielleicht hat es der Zoll einbehalten. Ich wüsste aber nicht, warum die ein völlig harmloses Buch einbehalten. Das Buch ist ziemlich schwer (1kg). Vielleicht hat ein Briefträger etwas wertvolles vermutet und hat es sich unter den Nagel gerissen."
Tja, da haben wir's, meine Herrschaften. Die Amis sind alles Gauner ("bei UNS wuerde so was nicht passieren!"), inklusive dem Arzt, der deiner Tochter eine Krankheit anhaengt, die sie gar nicht hat. Sie hat sicher nur "ja" gepiepst. DU musst es ja wissen.
So, jetzt kann ich ihm vlt. in zivilem Ton zurueckschreiben. Warte aber lieber ein paar Tage, um auf Nummer Sicher zu gehen.
PS. Ich haette wenigstens erwartet, dass er Details zu der von mir erwaehnten monatlichen Behandlung fragt. Oder darauf eingeht, dass ich das "Verschweigen" innerhalb der Familie nicht mehr gutheisse. Kam aber nix. Mit keiner Silbe. Gut. Wer nicht will, der hat schon. :/
warum willst Du überhaupt zurückschreiben? Da Dein Puls beim Thema "Deine Familie" so hochgeht, brech den Kontakt doch lieber ganz ab und genieß Dein Leben mit Menschen die es verdient haben.
ReplyDeleteMel
Das wuerde ich auch am liebsten tun, Mel. Den Kontakt ganz abbrechen. Aber sie gehen ja immer wieder Kontakt ein, und den kann ich irgendwann nicht mehr ignorieren. Es gibt ja keinen von aussen (von denen) nachvollziehbaren Grund (offener Krach oder so was), wie ich einen Kontaktabbruch begruenden koennte. Ach, ist das alles kompliziert. Jeder Kontakt mit denen reisst immer Sachen auf, an die ich Jahre, manchmal Jahrzehnte nicht mehr gedacht habe. Seit ca. 10 oder 12 Jahren wird mir immer bewusster, welche subtile Muster in meiner Kindheit dafuer verantwortlich sind, dass ich heute so verkorkst bin. Jeder KOntakt mit denen reisst alles moegliche immer wieder auf, auch wenn ich es schon fuer mich verarbeitet habe, und dann weiss ich nicht, wohin damit. Wenn ich denen z. B. von der MS erzaehle (Muttern hat mich inzwischen auch angerufen), dann wird mir immer wieder klar, wie ich eigentlich KEINE Familie, KEINE Eltern habe, wie die NICHT erster Hand an meinem Leben beteiligt sind, sondern immer nur Proxy-haft, wie durch eine Glasscheibe. So war's schon immer. Die koennen "alles von sich fern halten" (Mutter lobend ueber Vatter gesagt, als ich erwaehnte, wie er wieder abgeblockt hat). Weil sie nie selber betroffen sind. Und nie gelernt haben, dass man eben NICHT alles von sich fernhalten kann.
ReplyDeleteIch kann ihm auch immer noch nicht antworten. Obwohl es inzwischen schon ca 4 oder 5 Tage sind. Ich komme mir vor, als sei ich jetzt in die Rolle gedrueckt, wo ich mich rechtfertigen muss, dass ich tatsaechllich MS habe. Und nicht nur ein Trottel bin, der sich was einreden laesst. Meine Wut darueber hat in all den Tagen noch nicht nachgelassen. Muttern gegenueber hat er es auch veharmlost, die hat ueberraschenderweise mehr Ahnung als er. Hat er gesagt "ja, da hat sie mal so ein bisschen KRIBBENLN gehabt". Hat keine Fragen gestellt. Und das wird dann mit "ja er laaesst halt aus Selbstschuta nichts an sich heran" vergeidigt und gutgehieesne. Frueher haben die mich nicht atmen lassen. Das war nur, weil sie von allem was mich betroffen hat, selber betroffen waren, udn ddie Leute halt. Heute sind sie nicht mehr betroffen was bei mir ist. Den Leuten kann man was vorluegen, da sagt man bloss ja ja.
ReplyDeleteAuf diese kranken Dynamiken habe ich keine Lusst mehr. Das macht mich immer so fertig, weil ich durch Kontakt mit denen erst richtig mehrke, wie allein und familienlos ich auf der Welt stehe. Wenn ich erst gar keinen Kontakt zu denen habe, dann faellt es nicht so auf, was fehlt, wiel es dann zur Normalitaet geworden ist, als so eine verlogenen halbgehaengte Wirtschaft.
ReplyDeleteist es nicht Grund genug für einen Kontaktabbruch das Deine Familie nicht gut tut? Also schon aus reinem Selbstschutz heraus.
ReplyDeleteUnd eigentlich braucht Deine "Familie" Dich anscheinend nur noch um ihr Gewissen zu beruhigen und sich danach prächtig zu fühlen. Etwas eindimensional die Beziehung :(
Take care!
Mel
Ja, stimmt. Das hast du ziemlich richtig erkannt mit dem Gewissen beruhigen. Genau das machen sie mit der Klammerei an gehaltlosen "Kontakt". So koennen sie sich einreden, sie haetten Anteil an meinem Leben. Ohnejemals befuerchten zu muessen, eingebunden oder "herangezogen" zu werden. Falls es da mal nah dran geht (ist schon ein, zwei mal vorgekommen) haben sie auch da vorgesorgt mit Schutzmechanismen am Platz. Ich will wirklich gar keinen Kontakt mehr, aber weiss noch nicht wie ich das praktisch anstellen soll. Einfach sagen geht auch nicht, die wuerden dann wieder die Unverstaendigen spielen.
ReplyDeleteAch, ist das eine Scheisse. Wie viele Leute haben in meinem Alter noch gesunde Eltern. All die Jahre, die man es noch als Familie schoen haben koennte, und mein Sohn haette eine normale Familie kennengelernt. Eine Scheiss Verschwendung.
So viele Jahre schon verschwendet. Die sind fein heraus und werden nichts tun, diesen angenehmen Zustand zu gefaehrden. So wie sich z. B. in ein Flugzeug setzen und an mein Krankenbett eilen (deshalb habe ich es ihnen auch nicht zeitnah gesagt), oder ein bisschen (besser) Englisch lernen, damit sie sich mit ihrem Enkel verstaendigen koennen. Oder nach einer Kontaktperson hier fragen, falls mit mir (uns) mal was Schlimmes passieren sollte und sie uns nicht erreichen. U.v.A. mehr. Nein, das ist alles zu gefaehrlich, dann haengt man eh man sich's versieht in was drin. Die Amis werden uns als Auslaender sowieso nicht an nix heranlassen, falls da mal was sein sollte. Bla bla bla.
ReplyDeleteschön aus der Verantwortung gezogen würde ich sagen. Und wie praktisch für Deine Eltern das Du freiwillig so weit weg gezogen bist.
ReplyDeleteVorsicht Ironie!
LG
Mel
Hi Mel - ich hab die Ironie schon verstanden ;)
ReplyDeleteGenauso ist es. Und ich habe mich selbst irgendwann angefangen, immer wieder abzuschieben, bevor mich andere abschieben koennen. Und mir letzten Endes nur selbst dadurch geschadet.
Wer jahrelange Psychonanlyse braucht, um solchen Sachen auf den Grund zu gehen - das verstehe ich nicht ganz. Wenn man ein, zwei funktionierende Gehirnzellen hat, kann man doch von selber draufkommen, was wo schiefgelaufen ist :/